Von der Ernährungsberaterin im Bioladen über verschiedene Minijobs zur Sozialpädagogin: Sabine Vogel ist das Gesicht des Treffpunkts am Moorring in Lauenburg an der Elbe, einem Nachbarschaftstreff in einer Gegend, die als sozialer Brennpunkt gilt. Im Interview erzählt sie von ihrem Lebensweg und vor welchen Problemen die Frauen stehen, mit denen sie tagtäglich zusammenarbeitet.
Wie sind Sie in die Position gekommen, in der Sie heute sind?
Wie das Leben so spielt über erkenntnisreiche Umwege. Zunächst hatte ich in Lauenburg als Ökotrophologin einen Bioladen. In diesem Rahmen war ich Kursleiterin bei der Evangelischen Familienbildungsstätte, um das nötige Knowhow rund um eine vollwertige, gesunde Ernährung zu vermitteln.
Es folgte eine ebenso reiche und schöne Familienzeit. Neben dieser sammelte ich in Minijobs jede Menge Erfahrungen in verschiedensten Bereichen. So auch im sozialpädagogischen Bereich für Kinder und Jugendliche in ersten Stadtteilprojekten hier im Moorring. Daran, dass ich einige Jahre später in genau diesem Stadtteil einen neu gebauten offenen Treffpunkt im damals sogenannten „Sozialen Brennpunkt“ leiten würde, hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht gedacht.
2003 studierte ich Sozialarbeit/Sozialpädagogik, um mich beruflich neu zu orientieren. Hier konnte ich meine vielfältigen Lebenserfahrungen bündeln. Seit 2007 bin ich nun im Treffpunkt ToM. Während meiner Arbeit mit sehr unterschiedlichen Menschen in verschiedenen Lebenssituationen ist das Vertrauen zwischen uns im Laufe der Jahre so gewachsen, dass es manches Mal nur wenige Worte braucht, damit ich „im Thema“ bin und erfasse, was gerade das Problem ist.
Vor welchen Herausforderungen stehen die Frauen, denen Sie in Ihrer täglichen Arbeit begegnen?
Das geht quer durch die “bekannten Herausforderungen” wie: Das Leben gestalten als Alleinerziehende, mit chronischen Erkrankungen leben, mit Migrationserfahrungen umgehen, aktuelle Herausforderungen in der Corona-Pandemie oder Frauen mit Familienmitgliedern in Afghanistan.
Die Corona-Krise verschärft viele Probleme, Frauen leisten noch mehr (unbezahlte) Arbeit, Kinder konnten und können sich im Lockdown den Überforderungen der Erwachsenen innerhalb der Wohnung nicht entziehen, mit teilweise schwerwiegenden Folgen. Hier ist von uns als Team der Diakonie ein sensibles Hinschauen und Handeln erforderlich.
Was sollte getan werden, um Frauen in prekären Situationen besser zu helfen?
Es mangelt an Kindergartenplätzen. Mütter haben das Nachsehen, da sie es sind, die vorrangig die Sorgearbeit leisten, vor allem wenn ihr Gehalt, wie so oft, geringer ausfällt. Ist kein Partner da, ist der sichere Kindergartenplatz die Voraussetzung, für die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit, was wiederum die Voraussetzung dafür ist, einer Altersarmut vorzubeugen.
Auch sollte es eine einkommensunabhängige Kindergrundsicherung geben, die die Vielzahl von Kinder- und familienbezogenen Leistungen ersetzen. Die Antragsflut und das Wissen um die einzelnen relevanten Leistungen wie Kindergeld, Elterngeld, Sozialgeld, Kinderzuschlag, Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket und zu beantragende Sonderleistungen obliegt vorwiegend den Frauen beziehungsweise Müttern. Der Aufwand ist groß und sorgt teilweise für Verwirrung.
Aktuell müssen Kitas und Schulen unbedingt geöffnet bleiben, weil es den Kindern, Frauen und Familien die Möglichkeit gibt, den Tag gut zu gestalten.
Für zugewanderte Menschen aus unterschiedlichsten Ländern sollte das Angebot Deutsch als Zweitsprache erlernen zu können, wesentlich erweitert werden. Fachspezifische Beratungsstellen haben lange Wartezeiten, Kursangebote fehlen, Integration dauert zu lange.
Die Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern müssen grundsätzlich abgebaut werden. Frauen verdienen, wenn sie denn einen Job haben, immer noch 18 Prozent weniger, jede dritte Frau erleidet einmal im Leben psychische und/oder sexualisierte Gewalt und jede Vierte wird einmal im Leben Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt. Während der Pandemie sind die Zahlen noch gestiegen. Eine untragbare Situation, es besteht dringend Handlungsbedarf. Frauenhäuser müssen finanziell unterstützt werden, in politischen Gremien fehlt oft der Blick für diese Notwendigkeit.
Was würden Sie jungen Frauen mit auf den Weg geben?
Macht so viele Schulabschlüsse wie möglich - seid mutig und nehmt Herausforderungen an - es gibt nichts, was ihr aufgrund eures Geschlechts nicht machen könnt. Und fragt euch regelmäßig, ob das, was ihr gerade macht, das Richtige für euch ist.
Welche Frau ist Ihr Vorbild, Ihre Inspiration?
Als junge Frau hatte die Politikerin Petra Kelly, die sich in den 80er Jahren intensiv für die Friedensbewegung, Umweltschutz, Frauenrechte und Menschenrechte eingesetzt hatte, meine Aufmerksamkeit. Sie wurde Spitzenkandidatin der ersten Grünen und ist tragischerweise nur 44 Jahre alt geworden.
Auch Loki Schmidt fand ich interessant, da sie ihr „eigenes Ding“ im Pflanzen- und Naturschutz gemacht hat, neben ihren Aufgaben als Mutter und dem vielschichtigen Dasein als Gattin von Helmut Schmidt. Frau Katrin Göring-Eckhart und Frau Margot Käßmann sind für mich interessante, authentische Frauen. Ein Geschenk für die Welt ist Greta Thunberg. Niemals wären junge Menschen und teilweise ihre Eltern so schnell aufgewacht, hinsichtlich der drängenden Klimaprobleme unserer heutigen Zeit.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Bis zur Rente Ende 2025 möchte ich dieses bunte Haus möglichst lebendig halten und weiterhin passende Projekte mitgestalten.
Darüber hinaus werde ich, wie schon immer in meinem spannenden Leben, weiterhin viel zu tun haben. An erster Stelle halten mich meine Enkelkinder und meine große Familie fit. Überdies warten immer ungelesene Bücher auf mich, mein Fahrrad, der Fotoapparat und soziale Tätigkeiten.