Dr. Ulla Hingst ist Oberstaatsanwältin und Pressesprecherin am Landgericht Lübeck. Seit über 15 Jahren ist sie in diesem Job nahezu täglich mit Verbrechen und menschlichen Abgründen konfrontiert. In ihrer Dissertation hat sie sich mit den “Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge” beschäftigt.
Wie sind Sie in die Position gekommen, in der Sie heute sind?
Ich bin seit Ende 2003 Staatsanwältin in Lübeck. Mai 2013 bis Mai 2014 bin ich zur Generalstaatsanwältin in Schleswig abgeordnet gewesen. Diese sogenannte Erprobung ist Voraussetzung dafür, befördert zu werden. Ende 2015 bin ich zur Oberstaatsanwältin ernannt worden, seit Juni 2016 bin ich Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Lübeck und seit einem Jahr leite ich die Abteilung für Kapitaldelikte (das heißt Tötungsdelikte), Sexualstraftaten und andere Sondersachen.
Wann waren Sie zuletzt die einzige Frau in der Runde?
Das kann ich ehrlich gesagt gar nicht so genau sagen. Frauen sind in der Justiz – bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften – stark vertreten. In Lübeck haben wir seit diesem Jahr erstmals mehr als 50% Staatsanwältinnen. Daher ist es relativ selten, dass ich als einzige Frau in einer Runde sitze.
Welche Herausforderungen sehen Sie heute immer noch für Frauen auf dem Weg nach oben?
Es sind nun einmal die Frauen, die die Kinder zur Welt bringen. Dies bedeutet für Frauen, dass sie ihre Karriere noch stärker planen müssen als Männer. Es ist festzustellen, dass es – in meinem Arbeitsumfeld – weiterhin überwiegend die Frauen sind, die wegen der Kinderbetreuung in Teilzeit arbeiten und sie dabei zugunsten der Kinder und der Familie bereitwillig Zugeständnisse an ihr Fortkommen machen.
Gibt es Sprüche, die Sie nicht mehr hören können, weil sie voller Klischees sind?
Bei mir sind es weniger Sprüche als bestimmte Worte oder Attribute, die in Bezug auf Frauen verwendet werden, die ich klischeehaft und schwer zu ertragen finde: Die Bezeichnung von Frauen als „Mädchen“ (gerne mit leicht herablassendem oder väterlichem Ton), dass Frauen ständig tratschen (das können die Männer mindestens genauso gut) oder nicht in der Lage sind, sich kurz zu fassen (es gibt gleichermaßen viele Männer, die nicht auf den Punkt kommen).
Was sollte getan werden, damit Frauen in den Gerichten und Anwaltskanzleien präsenter sind?
Zur Anwaltschaft kann ich schlecht etwas sagen. Bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften sind Frauen, wie bereits dargestellt, bereits sehr stark vertreten.
Was würden Sie jungen Frauen mit auf den Weg geben?
Ihr müsst nicht perfekt sein. Fehler zu machen, ist keine Schande. Entscheidend ist, dass man aus ihnen lernt und daran reift.
Welche Frau war ihr Vorbild, ihre Inspiration?
Vor der Lebensleistung der amerikanischen Richterin am Supreme Court der USA, Ruth Bader Ginsburg, habe ich enormen Respekt. Ihr Zitat „Women belong in all places where decisions are being made. It shouldn’t be that women are the exception.“ hat bis heute an Aktualität nicht verloren. Ich habe aber keine konkrete Person als Vorbild. Allgemein nehme ich mir gerne ein Vorbild an anderen Menschen in Bezug auf bestimmte Dinge, die diese besser machen als ich.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Mir macht die Position, die ich derzeit innehabe, sehr viel Freude, von daher spüre ich aktuell keinen Veränderungsdruck. Mal schauen, was sich noch so ergibt. Ich bin gespannt!