Eine Frau, die nach den Sternen greift: Die Astronomin Carolin Liefke fand als Mädchen an der Lübecker Sternwarte zur Wissenschaft. Eine Faszination, die sie zum Beruf machte, sie promovierte an der Hamburger Sternwarte. Heute ist sie für Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit am Haus der Astronomie in Heidelberg zuständig. Jetzt ist ein Kleinplanet nach ihr benannt worden - ganz offiziell anerkannt von der Internationalen Astronomischen Union (IAU).
Wie sind Sie in die Position gekommen, in der Sie heute sind?
In gewisser Weise ist es eine normale Karriere in der Wissenschaft, in mancher Hinsicht dann auch wieder nicht. Ich habe Abitur gemacht, danach Physik studiert und mir anschließend bei der Promotion etwas mehr Zeit gelassen, als man es eigentlich sollte. Das war dann auch die Zeit, in der ich für mich festgestellt habe, dass mir nicht nur die Astronomie als solche Spaß macht, sondern dass ich auch sehr viel Freude daran habe, die Faszination, die die Astronomie auf mich ausübt, an andere weiterzuvermitteln. Und so ist dann so langsam aus der Astronomin, die nebenbei Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit macht, eine Wissenschaftskommunikatorin geworden, die nebenher noch selber Wissenschaft betreibt. Zu meinem jetzigen Job am Haus der Astronomie in Heidelberg kam ich noch vor Abschluss der Promotion. Die Stelle ist mittlerweile unbefristet, das ist in der Wissenschaft eher unüblich.
Viele Nachwuchswissenschaftler*innen hangeln sich nach Abschluss der Doktorarbeit von einem befristeten Arbeitsverhältnis zum nächsten, und nur ein Teil kann auch in der akademischen Forschung bleiben - Stichwort #IchBinHanna. In diesem Sinne war es auch nicht leicht - und eine gewisse Portion Glück gehört auch dazu - den einen Job zu ergattern, der verstetigt wurde.
Wann waren Sie zuletzt die einzige Frau in einer Runde?
Das kommt darauf an, wie groß die jeweilige Runde ist :-) Tatsächlich ist es so, dass der Frauenanteil in der Astronomie in Deutschland noch weit von 50 Prozent entfernt ist, aber Null ist es natürlich auch nicht. Als ich vor über 20 Jahren mein Studium begonnen habe, hat man unseren Jahrgang zu 18 Prozent Frauenanteil beglückwünscht - der klettert nach wie vor, aber sehr langsam. Und es hakt nach wie vor daran, dass diese Zahlen die Karriereleiter mit hochklettern. Professorinnen und Institutsleiterinnen sind nach wie vor deutlich seltener als ihre männlichen Gegenstücke. Im Bereich Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit ist es allerdings so, daß die Kluft insgesamt deutlich geringer ist. In unserem Team hier am HdA sind die Verhältnisse ausgeglichen. Viel schlimmer sieht es dagegen in der Hobbyastronomie aus. Der Frauenanteil ist da - zumindest hier in Deutschland - kleiner als 5 Prozent.
Gibt es Sprüche, die Sie nicht mehr hören können, weil sie voller Klischees sind?
Als ich in die 7. Klasse kam, kam meine Mutter wutentbrannt vom Elternabend nach Hause - der Physiklehrer hatte verkündet: “Mädchen können kein Physik”. Immerhin, ich hatte dann Gelegenheit, ihm das Gegnteil zu beweisen. Solche Stereotypen gibt es aber natürlich nach wie vor zuhauf, und ich habe zum Teil den Eindruck sogar verstärkt gegenüber meiner eigenen Kindheit und Jugend. Das fängt beim Überraschungsei für Mädchen an und endet damit, dass Informatik und Technik dann in der Pubertät als uncool gilt. Am meisten schockiert hat mich allerdings ein mehr oder weniger direktes “Du bist doch nur hier, um dir einen Mann zu angeln” während des Studiums. Sowas kam dann insbesondere auch von den Partnerinnen der männlichen Kommilitonen, die Angst um ihre Beziehungen hatten.
Vor welchen Herausforderungen stehen Frauen heutzutage noch in der Wissenschaft und besonders in den MINT-Fächern?
Wissenschaft ist kein leichtes Brot, für niemanden. Aber die Vereinbarkeit von Beruf und Familie trifft Frauen nach wie vor härter als Männer, das hat insbesondere auch Corona wieder gezeigt. Care-Arbeit und Haushalt bleibt auch an Akademikerinnen hängen. Gerade der Teil der Karriereleiter nach der Doktorarbeit, in der man sich eigentlich für unbefristete Stellen qualifiziert, leidet darunter, und viele machen hier dann doch irgendwann den Absprung. Hinzu kommt mal mehr, mal weniger offensichtlicher Sexismus - die sprichwörtlichen alten weißen Männer, die dann im Zweifelsfalle doch lieber dem eigenen Geschlecht den Vorzug geben, wenn es darauf ankommt. Da dann zu sagen: “Streng dich an, da musst du durch” oder “Wenn dir das nicht passt, dann geh doch woandershin” ist aber natürlich nur zynisch und löst das Problem nicht.
Was sollte getan werden, damit mehr junge Frauen den Weg in die Wissenschaft und zum Beispiel in die Astrophysik wagen?
Ich sage mal provokativ: Das Problem ist gar nicht, dass zu wenige junge Frauen diesen Weg gehen wollen - es gibt eigentlich eine ganze Menge von ihnen und es bringt nichts, einfach nach dem Gießkannenprinzip eine große Anzahl von Mädchen zu Karrieren überreden zu wollen, die nicht zu ihnen passen und sie vielleicht gar nicht ergreifen möchten.
Stattdessen sollten wir diejenigen nicht im Stich lassen und unterstützen, die den Schritt bereits gewagt haben und womöglich frustriert vor dem Aufgeben stehen. Das ist die viel größere Herausforderung, denn es erfordert auch einen gesellschaftlichen Wandel.
Was würden Sie jungen Frauen mit auf den Weg geben?
Frauen neigen dazu, sich selbst und ihre Fähigkeiten zu unterschätzen oder kleinzureden. Stellt eurer Licht nicht unter den Scheffel. Werdet nicht zu Einzelkämpferinnen - vernetzt euch, tauscht euch mit anderen aus. Macht euer eigenes Ding und laßt euch nicht bevormunden - Familie und Freunde wissen nicht unbedingt, was das richtige für euch ist, das entscheidet nur ihr allein.
Wer sind Ihre Vorbilder, Ihre Inspiration?
Ich hatte tatsächlich nie Vorbilder, sondern immer nur meine Ziele an sich vor Augen ohne mich dabei an konkreten Personen (weder Berühmtheiten noch Menschen, die ich persönlich kenne) zu orientieren.
Ganz generell würde ich sagen, das meine persönlichen Ziele dieselben sind wie die der meisten Menschen: Ein Job, der einem Spaß macht, das eigene Zuhause, Familie und Freunde, Hobbys, die einen ausfüllen. In der Wissenschaft kann man sich natürlich vornehmen “Ich will jetzt die Weltformel entdecken oder die 10 ungeklärten Rätsel der Menschheit lösen”, aber im Zweifelsfalle backt man da lieber kleinere Brötchen und nimmt sich für den heutigen Tag dann doch lieber nur vor, diesen oder jenen Bug in seinem Programmcode zu finden und zu beheben. Und selbst das gelingt dann nicht immer…
Inspiration ist ein ganz anderes Kapitel. Ich ziehe meine Motivation aus den Rückmeldungen, die ich bekomme. Wenn eine Lehrerin mich für ein Schulprojekt kontaktiert, die einst bei mir als Studierende in der Lehrveranstaltung war oder wenn ein ehemaliger Schülerpraktikant ein Empfehlungsschreiben für eine Bewerbung haben möchte, dann weiß ich, dass das, was ich gemacht habe, etwas bewirkt hat und andere Menschen positiv beeinflußt hat. Gerade die Arbeit mit besonders interessierten und motivierten Schüler*innen zeigt einem das auch unmittelbar.
Was sind Ihre Wünsche und Pläne für die Zukunft?
Je älter ich werde, desto mehr frustriert mich die allgemeine politische Lage. Die letzten zwei Jahre haben sich da Abgründe aufgetan, mit denen ich niemals gerechnet hätte, und das hat mir ganz allgemein gezeigt, dass Wissenschaftler*innen, selbst wenn es um Gesundheitsthemen geht, nicht ernst genommen werden, wenn es den Verantwortlichen nicht in den Kram passt. Ich kann nur hoffen, dass die Menschheit, was die Klimakrise angeht, noch das Ruder herumreißt, denn es gibt nunmal keinen Planeten B. In einer idealen Welt müssten wir uns darüber ebenso wenig Sorgen wie über einen drohenden dritten Weltkrieg. Ich kann zumindest versuchen, meinen kleinen Teil dazu beizutragen, indem ich Bildungs- und Aufklärungsarbeit leiste.