Wohin gehen Frauen auf dem Land, wenn sie häuslicher Gewalt ausgesetzt sind und das nächste Frauenhaus viele Kilometer entfernt und womöglich überfüllt ist? Der Verein “Frauen helfen Frauen” aus Sandesneben ist genau in solchen Momenten für die Frauen im Herzogtum Lauenburg da: Das Hauptprojekt des Vereins ist das Beratungsmobil “Land-Grazien”, mit dem sie Frauen in jedem noch so kleinen Dorf weiterhelfen können. Gründerin Miriam Peters spricht im Interview über die Auswirkungen der Corona-Pandemie und wie das Projekt jetzt weiter wachsen soll.
Wie sind “Frauen helfen Frauen” Sandesneben und die “Landgrazien” entstanden?
Ich bin staatlich anerkannte Sozialarbeiterin. Mein Anerkennungspraktikum habe ich im Autonomen Frauenhaus Lübeck gemacht. Es kam immer mal wieder vor, dass wir wegen Zuständigkeiten Frauen aus dem Herzogtum Lauenburg abweisen mussten. Meine Chefin Anke Kock sagte dann zu mir: “Mach dich doch mal auf die Suche, ob es flächendeckend Anlaufstellen für Frauen in Notsituationen gibt.”
Das war nicht der Fall. Schließlich ist dann “Frauen helfen Frauen” als privater Trägerverein entstanden, gemeinsam mit Familie und Freunden bei mir im Wohnzimmer. 2020 haben wir uns gegründet, kurz vor dem ersten Corona-Lockdown.
Wie hat die Corona-Zeit den Verein geprägt?
Wir hatten direkt mit einem großen Ansturm zu tun: Zu den Zeiten, als wir alle zu Hause geblieben sind, waren viele Frauen häuslicher Gewalt ausgesetzt. Zusätzlich problematisch war für uns, dass politische Gremien nicht mehr getagt haben und es schwierig für uns war, hier Kontakte aufzubauen und letztendlich für Förderung für uns zu werben.
Jetzt ist der Beratungsbedarf immer noch extrem hoch: Wir hatten gehofft, dass es nach Corona etwas abebbt, aber jetzt sind wir mit Inflation und Krieg in Europa konfrontiert. Viele Frauen melden sich bei uns inzwischen wegen Hunger. Der politische Aspekt läuft jetzt viel besser. Wir beobachten gespannt, wie die Koalitionsverhandlungen der möglichen neuen Landesregierung laufen. Im August sind wir zu einem Gespräch mit Aminata Touré, Monika Heinold und Daniel Günther eingeladen.
Vor welchen Herausforderungen stehen Frauen im ländlichen Raum, wenn sie in einer Notsituation Hilfe brauchen?
Das fängt schon bei der mangelhaften Infrastruktur an: Wenn ein Bus zur Beratungsstelle fährt, fährt er nach dem Termin vielleicht nicht mehr zurück. Oder der Termin passt nicht mit den Betreuungszeiten für das Kind zusammen. Wenn die Familie ein Auto hat, kann die Frau in der Regel nicht frei darüber verfügen. Es fällt eben spätestens auf, wenn das Auto nicht mehr in der Garage steht. Auch das soziale Gefüge ist ganz anders. Deshalb arbeiten wir sehr transparent und stellen unsere Arbeit zum Beispiel über die sozialen Netzwerke vor. Glücklicherweise bin ich sehr gut vernetzt und viele melden sich bei uns, weil die Vertrauensbasis schon da ist.
Wie kann das Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind, im ländlichen Raum verbessert werden?
Zunächst sollte unser Projekt landesweit ausgeweitet werden: Dafür schreiben wir gerade an einem Konzept und erarbeiten einen Plan, wie das funktionieren kann. Wir sind sehr zuversichtlich, dass das klappt.
Außerdem sollte man aufhören zu versuchen, Angebote, die in der Stadt funktionieren, auf’s Land übertragen zu wollen. Es gibt zum Beispiel städtische Frauenhäuser, die Außensprechstunden anbieten - zu festen Uhrzeiten im Gemeindezentrum. Da geht natürlich keine Frau hin, weil sie zu sehr unter Beobachtung stünde.
Außerdem brauchen wir mehr Beratungsangebote für queere Menschen. Wir bieten das allerdings wegen fehlender Expertise nicht an. Die Gewaltdynamiken, denen queere Personen ausgesetzt sind, sind noch einmal andere als die, mit denenFrauen konfrontiert werden.
Gibt es einen Spruch, den Sie im Zusammenhang mit Ihrer Arbeit nicht mehr hören können?
“Gewalt gibt es hier bei uns auf dem Land nicht.”
Wer ist ihr Vorbild?
Anke Kock, arbeitete über 40 Jahre im Frauenhaus, seit März ist sie in Rente. Sie ist mein Vorbild weil sie unermüdlich und beharrlich für ihre Ideale einsteht, vollkommen egal, welcher Front sie gegenübersteht. Auch beeindruckt mich ihre nicht zerstörbare Solidarität Frauen gegenüber. Es ist vollkommen egal, ob man sich privat versteht. Es geht um die Sache, es geht darum, für Gewaltverzicht einzustehen und dafür hält frau immer zusammen.
Was sind Ihre Wünsche und Pläne für die Zukunft?
Ganz oft erleben wir in der Praxis, dass Frauen und auch Männer wissen, dass in dem einen Haus im Dorf Gewalt passiert, sie schauen aber mit Absicht weg! Sie schauen weg mit der Begründung, dass das ein privates Problem ist und man sich nicht einmischen sollte. Ich wünsche mir, dass Menschen sich mehr einmischen und mit voller Absicht hinschauen und den Frauen glauben.